Zur Einführung in höhere Dimensionen die Geschichte vom kleinen Passagier...
Irgendwann entstand irgendwo ein unendlich großes Land. Ein flaches Land, kein Berg und kein Tal waren dort zu finden, ganz gleich, wie weit, wie lange und wohin man lief. Es gab dort auch keine Steine. Und keine Bäume. Gar nichts, nur Land.
Die Eisenbahnlinie
Eines Tages kam ein Bewohner aus einem anderen Land in das flache Land und dachte, das dieses Land sehr langweilig sei. Darum beschloss er, eine Eisenbahnlinie zu bauen, von dem einen Ende zum anderen. Vielleicht kommt dann jemand. Und weil er nicht wusste, wo diese Enden waren, fing er einfach irgendwo an und baute in beide Richtungen.
Es ging immer geradeaus. Kurven würden hier ja keinen Sinn machen, dachte er. Während er so am bauen war, kam ihm der Gedanke, dass Züge ziemlich sparsam sind. Wenn sie später einmal hier fahren werden, dann brauchen sie nur die Schiene, und den Platz daneben, den brauchen sie nicht. Sie können ja nicht von der Schiene runter. Es geht nur in die eine, oder in die andere Richtung. Und der Zugführer bestimmt diese Richtung mit genau einer Entscheidung. Ein eindimensionales Fahrzeug, dachte er.
Von diesem vielen Nachdenken wurde er ganz müde. Er hielt Ausschau nach einem gemütlichen Schlafplatz und fand diesen schließlich, ein Stück weit neben der Schiene.
Auf dem Weg dorthin bemerkte er, dass er in Sachen Entscheidung dem Zug etwas voraus hatte. Er konnte nicht nur in die eine oder in die entgegengesetzte Richtung laufen, sondern auch noch zur Seite. Nach links und nach rechts. Was die Richtung angeht, dachte er, war er ein zweidimensionales Wesen. Das gefiel ihm. Genau wie das ausgesuchte Plätzchen, an dem er nun angekommen war. Er nahm sein Kissen, rückte es an die rechte Stelle und machte es sich gemütlich. Dabei kamen ihm die Schienenstücke in den Sinn. Die Schienenstücke, die er tragen musste, um sie an den richtigen Platz zu bringen. Dabei hebt er sie hoch, läuft mit ihnen in zwei Dimensionen an die vorgesehene Stelle und legt sie wieder ab. Legt sie nach unten. Hoch und runter. Da war also auch noch ein sich dreidimensional bewegendes Objekt. Jetzt war er wirklich ganz müde. Darum beschloss er einzuschlafen, bevor er über noch schwierigere Dinge nachdenken musste.
Der Traum
Im Traum begegnete ihm ein Wesen, dass er noch nie zuvor gesehen hatte. Es sah ganz komisch aus, man konnte gar nicht so recht erkennen, wo es anfing und wo es wieder aufhörte. Es schien aus vielen schwebenden Objekten zu bestehen, die überhaupt nicht miteinander verbunden waren. Und wenn es sich bewegte, passierten ganz merkwürdige Dinge. Einige dieser Objekte etwa wurden immer kleiner, bis sie nur noch ein winziger Punkt, und im nächsten Moment schließlich ganz verschwunden waren. Im Nichts. Einfach weg. An anderen Stellen geschah genau das Gegenteil. Punkte erschienen, einfach so, mitten im Raum, wurden größer, und formten sich zu räumlichen Objekten. Wenn er gewusst hätte, was er im Traum so alles mitmachen würde, hätte er lieber an der Schiene weitergebaut, dachte er.
Wer bist du?
Ich bin nicht von hier.
Haben dich meine Schienen hergeführt?
Es tut mir Leid, aber deine Schienen sind unnötig. Es gibt hier niemanden, der sie benutzen kann.
Jemand vom Nachbarland könnte durch dieses Land durch fahren. Von der einen Seite zur anderen.
Jemand vom Nachbarland?
Das Land, das an dieses angrenzt, meine ich.
An dieses Land grenzt aber kein Land. Es gibt hier niemanden, der deine Schienen benutzen kann.
Ich dachte, du kommst vielleicht von dort.
Ich komme von außerhalb.
Wie kann denn hier kein Land angrenzen? Wenn ich wüsste, in welcher Richtung meine Heimat liegt, könnte ich mich dorthin aufmachen. Irgendwann würde ich die Grenze übertreten. Zu meinem Land. Oder zu einem Land, das zwischen meinem und diesem hier liegt. Oder zu einem Land, das zwischen diesem hier und dem Land vor meinem Land liegt. Jedenfalls würde ich irgendwann an einen Punkt kommen, an dem es wieder etwas gibt. Irgendwann kommt die Grenze, nach der es wieder Berge und Täler, Bäume und Flüsse gibt. Nicht so wie hier. Hier gibt es gar nichts. Nur den Boden, auf dem ich stehe. Und du nicht.
An dieses Land grenzt kein Land.
Komisches Land.
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