Interview mit Prof. Dr. Ivo Sachs
Ivo Sachs
 

"Wir hätten vielleicht lieber
4 Dimensionen gehabt"

Prof. Dr. Ivo Sachs ist Professor für theoretische Physik an der Ludwig-Maximillians Universität in München.

Hier spricht er über das Universum, die Stringtheorie und die Unordnung in Kinderzimmern und erklärt, warum die Weltformel Schwierigkeiten mit Wassergläsern hat.

Ein Drillingsraum-Interview, 11. Oktober 2007
Von Marc Gänsler

 

Drillingsraum: Herr Prof. Dr. Ivo Sachs, Sie sind Professor für theoretische Physik an der LMU München. Was war bei Ihnen der ausschlaggebende Punkt, Physiker zu werden?

Prof. Dr. Ivo Sachs: Der Grund war der: Ich habe in einem Labor gearbeitet, indem man radioaktive Strahlung untersucht hat. Und ich wollte wissen, woher das kommt.

Drillingsraum: Wie sieht der Alltag im Leben eines Physikprofessors aus?

Prof. Dr. Ivo Sachs: Morgens stehe ich typischerweise auf, dann schau ich auf meinem Computer was für Publikationen gestern erschienen sind, dazu brauch ich eine Stunde oder zwei. Dann geh ich ins Büro, spreche dort mit den Doktoranden, Diplomanden und den Postdocs und schaue wie's der Forschung gerade geht. Dann kommt meistens etwas Administration, irgendwelche Empfehlungsschreiben, Sitzungen in denen besprochen wird ob was neues zum Institut dazukommen soll, oder in welche Richtung die Theorie gehen soll und solche Sachen. Und dann am Nachmittag versuchen wir in den Projekten weiterzukommen, führen Diskussionen an der Tafel und solche Sachen. Später geh ich nach Hause, esse Abendessen und bereite danach meist die Vorlesungen vor.

Drillingsraum: Hier soll es nun um das Ende des Universums gehen. Was glauben Sie fasziniert die Menschen an solchen Themen?

Prof. Dr. Ivo Sachs: Voraussagbarkeit der Zukunft. Wir möchten wissen, wohin es geht, woher wir kommen und wohin wir gehen.

Drillingsraum: Die Entropie ist ein wichtiger Begriff in der Physik, und gleich auch in diesem Interview. Könnten Sie bitte kurz erklären was man sich unter der Entropie vorstellen kann?

Prof. Dr. Ivo Sachs: Unordnung. Stellen Sie sich vor, Sie haben ein kleines Kind, oder Sie sind selbst ein kleines Kind und kommen in ein schönes Zimmer. Das erste was Sie machen, ist Unordnung.
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Und wenn die Unordnung dann mal so richtig maximal ist, bleibt's dabei, dann ist das Gleichgewicht erreicht. Also Entropie ist Unordnung, und die Natur ist bestrebt die Unordnung so groß wie möglich zu machen.

Drillingsraum: Zweiter Hauptsatz Thermodynamik: Die Entropie des Universums nimmt mit der Zeit stets zu, niemals ab. Sollte sich das komplette Universum irgendwann wieder zu einem Punkt zusammenziehen, wäre dieser Hauptsatz verletzt. Wie kann das sein?

Prof. Dr. Ivo Sachs: Wäre nicht verletzt, muss nicht sein. Es ist ein Hauptsatz, kein Theorem. Es ist nicht bewiesen, es ist nur eine Annahme. Es muss nicht sein, denn wenn sich das Universum ausdehnt, dann kühlt es sich ab, Strukturen werden gebildet, zum Beispiel Sterne oder Galaxien. Und wenn sich das Universum dann wieder zusammenzieht, das heißt nicht, dass die Richtung der Zeit umgedreht wird, die geht nach wie vor vorwärts, aber die Entropie kann trotzdem noch erhöht werden. Also die Aussage ist konkret: Wir sollten nicht erwarten, dass wir genau zur selben Konfiguration wie beim Big Bang zurückkommen. Wir kommen zu einer anderen Konfiguration, bei der das Universum zwar auch wieder sehr klein ist, es aber eine viel größere Entropie hat.

Drillingsraum: Was passiert nach dem Big Crunch? Beginnt dann alles wieder von vorne, könnte sich ein erneuter Urknall ereignen?

Prof. Dr. Ivo Sachs: Wissen wir nicht. Hängt davon ab was die Theorie ist. Dazu müssen wir verstehen, wie die Physik bei sehr hohen Energien, bei sehr kleinen Distanzen ist, und die kennen wir noch nicht gut genug. Zum Beispiel kann es sein, dass, wenn wir mal die Gravitationstheorie von Einstein anschauen, alles in einer Singularität endet. Aber Singularitäten bedeuten meistens nur, dass die Theorie zusammen bricht, dass unsere Beschreibungen nicht gut genug waren. Es wird wahrscheinlich eine andere Theorie geben, die diese Singularität auflöst, und diese dann möglicherweise kontinuierlich in ein anderes Universum oder in irgend einen anderen Zustand übergeht. Aber was das ist, das wissen wir noch nicht.

Drillingsraum: Die Stringtheorie soll die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik unter sich vereinen, um so alle Vorgänge im Universum mit einer einzigen Theorie beschreiben zu können. Was ist so revolutionär an der Stringtheorie?

Prof. Dr. Ivo Sachs: Ungewöhnlich an der Stringtheorie sind 2 Sachen: Das eine ist, dass sie eine große Voraussagekraft hat und zwar in folgendem Sinne: Sie sagt, dass wenn sie in einem flachen, ungekrümmten Raum leben wollen, dieser 10-dimensional sein muss. Wir haben keine andere Theorie die das voraussagt. Es ist ungeschickt, dass es 10 Dimensionen sind, wir hätten vielleicht lieber 4 Dimensionen gehabt. Die meisten

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Leute sagen das ist eine schlechte Sache, ich finde es ist eine gute Sache. Die andere Sache der Stringtheorie, die sie so speziell macht, sind Anregungen, sozusagen schwingende Saiten. Und eine dieser

Anregungen entspricht einem Graviton, einer Gravitationswelle. Und man kann das quantisieren. Innerhalb der Superstringtheorie, also einer supersymmetrischen Stringtheorie, kann diese Theorie so störungstheoretisch quantisiert werden, dass man keine Unendlichkeiten antrifft. Und da gibt es keine andere Theorie, die sozusagen gleichzeitig mit dem klassischen Verständnis der Raumzeit übereinstimmt und Quantisierungen konsistent durchführen kann. Es gibt zum Beispiel die sogenannte Loop-Quantengravitation, die auch von sich behauptet, dass sie eine Quantentheorie der Gravitation ist. Bei ihr ist aber gar nicht klar, wie man den klassischen Raum zurück kriegt.

Drillingsraum: Die Stringtheorie spielt sich in einer Größenordnung ab, die noch weitaus kleiner ist als die Welt der Atome. Kann man diese Theorie jemals experimentell überprüfen?

Prof. Dr. Ivo Sachs: Schwierige Frage. Kann sein, kann nicht sein. Das hängt davon ab, wie sich die Stringtheorie organisiert. Es kann natürlich sein, dass alle Experimente, die man machen müsste, bei so hohen Energien stattfinden müssten, die man nie erzeugen kann. Dann könnte man das nie experimentell nachweisen, sondern nur mathematische Selbstkonsistenz prüfen. Aber es ist auch möglich, dass es Phänomene gibt, bei denen stringtheoretische Effekte wichtig werden, obwohl wir uns noch bei tiefen Energien befinden. Ein Beispiel dafür wäre die Annahme, wir leben auf einer 3+1 dimensionalen Hyperfläche (zeigt mit dem Finger auf den Tisch), und dann gibt’s zusätzlich dazu noch einen Raum, also die anderen 6 Dimensionen. Wir können nur auf dieser Hyperfläche leben. Nur die Gravitation kann sozusagen diese Hyperfläche verlassen. Und dann kann man Szenarien bilden, bei denen stringtheoretische Effekte schon bei Energien auftauchen, die der LHC aufbringen könnte. LHC wird uns sagen, ob das passiert oder nicht.

Drillingsraum: Also mit dem LHC hätten wir eine Möglichkeit, Teile der Stringtheorie zu beweisen?

Prof. Dr. Ivo Sachs: Ja, und es gibt tatsächlich Szenarien, bei denen argumentiert wird, dass es prinzipiell möglich wäre, am LHC aufgrund von solchen stringtheoretischen Effekten zum Beispiel ein schwarzes Loch zu produzieren. Aber ob's so ist oder nicht, wir werden sehen.

Drillingsraum: Unsere wahrnehmbare Welt hat 3 Raumdimensionen. Der Stringtheorie ist das nicht genug, sie fordert 10. Wofür werden diese zusätzlichen Dimensionen benötigt?

Prof. Dr. Ivo Sachs: Das ist ganz einfach: Sie stellen sich vor, sie haben einen String, der bewegt sich in der Raumzeit. Zu einer festen Zeit beschreibt er einen Kreis, nehmen wir an, eine geschlossene Saite. Und diese bewegt sich dann im Raum, schneidet darin sozusagen einen Zylinder aus. Jetzt können Sie das parametrisieren, indem Sie sagen: Ich nehme eine Abbildung von einem Zylinder (das ist mein Parameterraum)

in die Raumzeit. Jetzt können Sie natürlich im Parametrisierungsraum die Geometrie verändern, das verändert aber die Einbettung nicht. Und jetzt ist die Bedingung, dass es nicht von der
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Geometrie des Parametrisierungsraumes abhängt. Das ist etwas, das man mathematisch künstlich eingeführt hat, das ist nichts Physikalisches. Und diese Bedingung allein schon verlangt die 10 Dimensionen.

Drillingsraum: Könnte es ein Universum mit 4 ausgeprägten Raumdimensionen geben?

Prof. Dr. Ivo Sachs: Im Prinzip schon. Also viele Sachen funktionieren genausogut, aber natürlich wäre das ein anderes Universum. Die Umlaufbahnen um die Sterne wären anders, einfach weil das Gravitationsgesetz ein anderes wäre. Aber es spricht nichts prinzipiell dagegen. Nichts das wir kennen, es könnte aber sein, dass wir noch etwas finden (lacht).

Drillingsraum: Angenommen wir hätten morgen die Weltformel. Würden wir dann über alles Bescheid wissen? Gäbe sie uns die Antwort auf das Ende des Universums?

Prof. Dr. Ivo Sachs: Käumlich. Das schöne und gleichzeitig nicht so schöne an der Physik ist, dass wir mit ihr nur einfache Systeme beschreiben können. Zum Beispiel die Wechselwirkung von zwei oder drei Atomen, die können wir quantenmechanisch beschreiben und Voraussagen machen. Aber wir können nicht genau voraussagen, was in einem Glas Wasser passiert. Zum Beispiel können wir heute, 100 Jahre nach Boltzmann noch nicht voraussagen, wie es zum thermodynamischen Gleichgewicht kommt. Und das würde die Weltformel uns auch nicht vorhersagen. Viele Fragen wären nach wie vor offen.

 

Vielen Dank für das Interview

 

 

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