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Prof. Dr. Simon White am 6.10.2011
Alle Inhalte © drillingsraum.de
Fotos: Hannes Schulz

 
"Die Argumente gegen die Kosmologische Konstante sind im Wesentlichen philosophisch"

 

Simon White studierte Mathematik in Cambridge und Astronomie in Toronto. Heute beschäftigt er sich insbesonere mit der Galaxienentstehung und dem Rätsel der Dunklen Materie. In Fachkreisen gilt er als einer der vielseitigsten und besten Astrophysiker der Welt.

In diesem Interview spricht er über die Millennium-Projekte, die Dunkle Energie, die Bedeutung des Mikrowellenhintergrunds, das frühe Universum, die Suche nach Gravitationswellen und erzählt, wie einst ein Bär neben ihm auf dem Baum saß.

Ein Drillingsraum-Interview, 6. Oktober 2011
Von Marc Gänsler

 

Drillingsraum: Am vergangenen Freitag haben Sie Ihren 60. Geburtstag gefeiert, dafür noch die besten Wünsche. Wir haben zwei Geschenke für Sie dabei: Das erste ist ein Millennium-Rum. Dann haben Sie etwas zum Anstoßen, wenn Sie demnächst mit einer Simulation etwas entdecken.

Prof. Dr. Simon White: Oh, wow, vielen Dank. So wie es aussieht, kann man damit einen tollen Geburtstag feiern. (lacht)

Drillingsraum: Das zweite Geschenk hat etwas mit der Raumzeit-Struktur des Universums zu tun.

Prof. Dr. Simon White: Ist es der Nobelpreis?

Drillingsraum: Wir kommen nachher darauf zurück, seien Sie gespannt. Lassen Sie uns zuerst ein wenig über Ihre Arbeit sprechen. Im Jahr 2005 fand der erste Millennium-Run statt. Das Ziel war es, die Strukturbildung im Universum zu simulieren. Würden Sie kurz zusammenfassen, welches die wichtigsten Erkenntnisse sind, die man aus dieser Simulation gewonnen hat?

Prof. Dr. Simon White: Genaugenommen war sie schon 2004 abgeschlossen. Es hat aber viel Zeit in Anspruch genommen, bis die Daten ausgewertet waren. Der Millennium-Run war ein Versuch, die großräumige Strukturbildung des Universums zu simulieren. Dabei sollte die Auflösung hoch genug sein, um die Entwicklung individueller Objekte wie etwa unsere eigene Galaxie beobachten zu können. Das Neue an dieser Simulation war nicht unbedingt die Technik an sich, diese wurde bereits zuvor in kleineren Simulationen verwendet. Es war vielmehr das Ausmaß, das es ermöglicht hat, die Entstehung von Galaxien wie etwa der unserer eigenen über einen sehr großen Raumbereich hinweg zu beobachten und somit zu untersuchen, ob die Galaxienpopulation, die wir heute um uns herum vorfinden, tatsächlich dem entspricht, was wir erwarten würden – beginnend mit den Anfangsbedingungen, die wir direkt aus Messungen des Mikrowellenhintergrunds zur Verfügung haben.

Drillingsraum: Um eine Strukturbildung zu erzeugen, hat man in der Simulation kleine Dichteschwankungen in der Verteilung der Dunklen Materie eingebaut. Aus Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung weiß man, wie diese Fluktuationen im frühen Universum ausgesehen haben müssen. Aber was ist letztendlich die Ursache für diese Dichteschwankungen?

Prof. Dr. Simon White: Nun, das wissen wir nicht mit Sicherheit. Wichtig sind die statistischen Eigenschaften der Fluktuationen, die wir zu einem Zeitpunkt sehen, als das Universum etwa 400.000 Jahre alt und um einen sehr großen Faktor kleiner als heute war. In dieser Zeit gab es keine Sterne und keine Galaxien. Es gab keine Strukturen, die größer waren als ein einzelnes Atom. Die Materie war annähernd gleichmäßig verteilt, aber eben nicht ganz. Die Abweichungen von der Einheitlichkeit kann man sich wie Schallwellen vorstellen, die sich innerhalb der damals existierenden Materie fortbewegt haben. Diese Schallwellen verursachten kleine Schwankungen in der Temperatur und der Dichte, welche heute direkt im Mikrowellenhintergrund beobachtet werden können. Dadurch zeigt uns der Mikrowellenhintergrund eine direkte Karte dieser Schallwellen – und zwar

zu einer Zeit, in der das Universum erst 400.000 Jahre alt war. Aber genau wie die Schallwellen in diesem Raum nicht von der Luft selbst erzeugt wurden, wurden die Schallwellen im frühen Universum nicht von der damals gegenwärtigen Materie erzeugt. Die Schallwellen, die sich durch diesen Raum hier bewegen, haben ihren Ursprung

"So wie es aussieht,
kann man damit
einen tollen
Geburtstag feiern"
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in meinen Stimmbändern. Die Frage lautet also: Durch was kamen die Schallwellen zu Stande, die wir bei hohen Rotverschiebungen sehen? Diese müssen von etwas in einem noch viel früheren Stadium des Universums verursacht worden sein. Auf direktem Weg können wir soweit nicht zurückblicken. Wir müssen also versuchen, aus den statistischen Eigenschaften dieser Fluktuationen Rückschlüsse auf deren Ursache zu ziehen. Die statistischen Eigenschaften, die direkt aus den Aufzeichnungen des Mikrowellenhintergrunds ermittelt wurden, stimmen mit der Idee überein, dass all diese Fluktuationen tatsächlich in einer sehr frühen Epoche des Universums erzeugt wurden, einem winzigen Bruchteil einer Sekunde nach dem Urknall selbst. Möglicherweise sind sie ein Echo der quantenmechanischen Nullpunktfluktuationen während der sogenannten inflationären Phase, in der sich das Universum nach heutigem Kenntnisstand innerhalb eines kurzen Zeitabschnitts um einen enormen Faktor ausgedehnt hat.

Drillingsraum: Auf die Millennium-Simulation folgte ein zweiter Millennium-Run, und erst kürzlich beendeten die Superrechner ihre Arbeit am Millennium-XXL-Projekt. Erzählen Sie doch ein bisschen etwas über die Upgrades in diesen Simulationen und die Resultate, die man daraus erhalten hat beziehungsweise man sich noch von ihnen verspricht.

Prof. Dr. Simon White: Das entscheidend Neue in der ersten Millennium-Simulation war in erster Linie ihr räumliches Ausmaß, welches frühere Simulationen um etwa einen Faktor zehn übertraf. Neu war aber auch die Tatsache, dass wir Techniken eingebaut haben, die uns erlaubten, in einer groben aber physikalisch begründeten Art und Weise den Entwicklungsprozess sichtbarer Galaxien zu verfolgen. Wir waren nicht nur in der Lage, die Verteilung der unsichtbaren Dunklen Materie zu prognostizieren, sondern auch die erwarteten Positionen und Eigenschaften der Dinge, die wir tatsächlich sehen können. Mit der Zeit aber wurden die Grenzen dieser ersten Millennium-Simulation deutlich: Einerseits möchte man ein hohes Detailreichtum, was gleichbedeutend ist mit einer hohen Auflösung. Aber gleichzeitig möchte man auch einen großen Raumbereich wiedergeben, um einen ausreichenden Teil des Universums untersuchen zu können. In der Praxis muss man immer einen Kompromiss finden, und mit der Millennium-Simulation haben wir das Beste getan, was wir konnten. Für einige Dinge war ihre Auflösung nicht hoch genug, beispielsweise reichte sie nicht dafür aus, um den Entstehungsprozess der kleinsten Galaxien zu beobachten. Aus diesem Grund haben wir uns mit der zweiten Millennium-Simulation, wir nennen sie „Millennium 2“, auf einen kleineren Raumbereich konzentriert. Die Computerleistung war vergleichbar mit der im ersten Millennium-Run, jedoch war die Auflösung diesmal höher, was wir genutzt haben um die Entwicklung der kleinen Galaxien zu analysieren. Diese zweite Millennium-Simulation war sehr erfolgreich, sie gab uns interessante Einblicke in die Galaxienentstehung und die

simon-white
"Wir haben eine sehr
präzise Simulation eines
Stoffes, den wir nicht
sehen können"

Prozesse, die wichtig sind, um diese Galaxien zu formen. Sie erlaubte es uns auch, die Ergebnisse der vorherigen Simulation zu überprüfen, weil wir sicher sein konnten durch eine Erhöhung der Auflösung die gleichen Antworten zu

erhalten. All dies bildete die Motivation für den zweiten Millennium-Run. Der ursprüngliche Kompromiss führte aber auch zu Beschränkungen im Hinblick auf die andere Richtung, der Untersuchung der großräumigen Strukturen im Universum. Wissenschaftler wollen solche Projekte nun vorantreiben, beispielsweise mit dem Euclid-Weltraumteleskop, das gestern von der ESA für die nächste Entwicklungsphase ausgewählt wurde. Solche Pläne, die das Ziel haben, das gesamte sichtbare Universum und somit auch die statistischen Eigenschaften der Galaxienpopulation in einem so großen Raumbereich zu untersuchen, waren die Motivation für die Millennium-XXL-Simulation. Diese erforscht ein räumliches Volumen, das 200 mal größer ist als das in der ursprünglichen Millennium-Simulation. Der Millennium-XXL-Run berechnete tatsächlich die Kräfte zwischen 300 Milliarden Teilchen und bestimmte zugleich all ihre Bewegungsgleichungen.

Drillingsraum: Die Qualität einer solchen Simulation wird dadurch bestimmt, wie gut ihre Ergebnisse mit dem aktuellen Bild des Universums übereinstimmen. Bis zu welchem Punkt ist es demnach sinnvoll, zukünftige Entwicklungen des Universums aus Simulationen abzuleiten?

Prof. Dr. Simon White: Nun, all diese Simulationen verfolgten lediglich die Dunkle Materie-Komponente. Der Grund dafür ist der, dass die Dunkle Materie die dominierende gravitativ wirkende Komponente des heutigen Universums ist. Sie ist es also, die die Strukturbildung vorantreibt, wechselwirkt in der heutigen Zeit aber ausschließlich über die Gravitation mit anderer Materie, was das ganze Verfahren deutlich vereinfacht. Das bedeutet natürlich, dass wir eine sehr präzise Simulation eines Stoffes haben, den wir nicht sehen können, und eine sehr viel ungenauere Simulation der Objekte, die wir sehen können, zu denen etwa Galaxien und jene Komponenten des Universums gehören, die aus gewöhnlicher Materie aufgebaut sind. Deswegen besteht viel von der noch zu erledigenden Arbeit darin, die zeitliche Entwicklung der sichtbaren Komponenten des Universums zu verstehen. Dazu gehören die Fragen wie sich Galaxien im Detail entwickeln und welche Prozesse für die Bildung ihrer jeweiligen Eigenschaften verantwortlich sind. Es gibt bereits ein paar Überraschungen: Eine davon, die in der ersten Millennium-Simulation aufgetaucht ist, war die Erkenntnis, dass das Verstehen der Eigenschaften der sichtbaren Galaxien das Verstehen der Effekte der Schwarzen Löcher in ihren Zentren voraussetzt. Es ist nicht wahr, dass dieses kleine Objekt im Galaxienzentrum vom Rest der Galaxie abgetrennt ist, und das obwohl zentrale Schwarze Löcher nur etwa ein Zehntelprozent der Gesamtmasse einer Galaxie ausmachen, ein winzig kleiner Teil. Nichtsdestotrotz können die Prozesse in der Nähe solcher Schwarzen Löcher eine Galaxie als Ganzes beeinflussen, ihre Population prägen und ihren Entwicklungsprozess festlegen.

Drillingsraum: Bei der Millennium-Simulation handelt es sich sozusagen um ein Universum im Universum. Aber: Wie gut passen simuliertes und tatsächliches Universum letztendlich zusammen? Haben die Simulationen auch Strukturen hervorgebracht, die sich überhaupt nicht mit den Beobachtungen decken?

Prof. Dr. Simon White: Ich denke es gibt bisher keine definitiven Konflikte, aber sicherlich ein paar Fragen an Stellen, an denen einige Aspekte des simulierten Universums nicht mit den tatsächlichen Beobachtungen übereinstimmen. Im Moment hängen die meisten dieser Fragen aber nicht mit den großräumigen Strukturen des Universums zusammen, sprich der Verteilung der Materie auf Skalen größer als Galaxien, sondern vielmehr mit den Eigenschaften der Galaxien an sich, insbesondere denen ihrer zentralen Regionen. Darauf bezogen gibt es einige Probleme, da sich die zentrale Struktur der Objekte in den Simulationen anscheinend von der unterscheidet, die wir heute in den Galaxienzentren tatsächlich beobachten. Der Grund dafür, warum es

schwierig ist zu entscheiden, ob dies nun ein fundamentales Problem für die gesamte Theorie der Galaxienentstehung ist oder nicht, liegt darin, dass die zentralen Regionen der Galaxien diejenigen sind, die von den Sternen und Schwarzen Löchern dominiert werden. Dadurch werden diese Strukturen von all den verschiedenen Prozessen beeinflusst, die mit der Bildung von Sternen und Schwarzen Löchern zusammenhängen. Um also zu sagen, dass dies ein Problem mit dem gesamten kosmologischen Theoriegebäude ist, müsste man zuerst einmal jene Unstimmigkeiten ausschließen, die mit den Entstehungsprozessen der Sterne und Schwarzen Löcher

"Um die
Eigenschaften der
der sichtbaren Galaxien
zu begreifen, müssen
wir zuerst die Effekte
der Schwarzen Löcher
in ihren Zentren
verstehen"
simon-white
zusammenhängen. Wir glauben, ein allgemeines Verständnis der physikalischen Abläufe zu haben, die beim Entstehungsprozess der sichtbaren Objekte des Universums eine Rolle spielen. Jedoch sind diese Abläufe zu komplex, um ihre Entwicklung im Detail zu verfolgen. Es ist sehr schwierig zu sagen, wie genau sich die Bildung von Sternen und Schwarzen Löchern auf die innersten Regionen von Galaxien auswirkt. Solange wir uns dessen nicht sicher sind, können wir auch nicht mit Bestimmtheit sagen, woher die Diskrepanz zwischen den Beobachtungen und den Vorhersagen der Simulationen kommt. Wir können uns nicht sicher sein, ob das Ganze einfach mit den astrophysikalischen Prozessen zusammenhängt, oder es vielleicht doch auf ein tieferliegendes Problem hindeutet.
 
 
 
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