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Drillingsraum: Herr Prof. Nolting, vielen Dank, dass Sie sich so kurz vor Weihnachten für dieses Interview Zeit genommen haben. Sind Sie schon gut auf die Feiertage eingestellt? Prof. Dr. Wolfgang Nolting: (lacht) Nein, dazu hatte ich noch keine Gelegenheit. Aber bald. Drillingsraum: Ihr Weg zu den Naturwissenschaften begann mit dem Physikstudium an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Wie würden Sie Ihre Zeit als Student beschreiben? Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Die Zeit war für mich, und das ist ein sehr persönlicher Aspekt, zunächst sehr schwierig. Ich kam von einem humanistischen Gymnasium und wusste zum Beispiel noch nicht, ob ich eher Mathematiker oder Physiker bin. Ich habe dann Mathematik studiert und eigentlich erst während des Studiums die Physik kennengelernt. Damals war der Wechsel von der Mathematik zur Physik noch nicht ganz so einfach. Man musste zum Beispiel Chemie nachholen, und wir hatten dadurch das ganze Semester über chemisches Praktikum und etliche Dinge mehr. Anfangs war es deswegen etwas holprig, und eine lange Zeit bin ich immer so ein bisschen hinterhergehinkt. Das hat mich durchaus auch psychisch belastet, weil ich das Gefühl hatte, die Kommilitonen haben es alle begriffen, nur ich nicht. Deswegen ist die Freude am Studium eigentlich erst nach dem Vordiplom gekommen, als man begann sich zu spezialisieren, und später mit der Diplomarbeit. Ab dann habe ich das Physikstudium erst richtig genossen, vorher war es bisweilen durchaus eine Quälerei. Drillingsraum: Gab es Situationen in Ihrem Studentenleben, durch die Sie in gewisser Weise geprägt wurden? Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Das könnte ich auf Anhieb jetzt nicht sagen, dass mich ein spezielles Ereignis wirklich in eine bestimmte Bahn gelenkt hätte. Da fällt mir spontan nichts ein, so etwas gab es, glaube ich, auch nicht. |
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Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Das Institut hatte mit Metallphysik zu tun. Ich bin zu dieser Diplomarbeit gekommen, weil mein Diplomvater mir damals regelrecht nachgestellt hat, er wollte mich unbedingt als Diplomand haben, und das hat mir geschmeichelt. Er hat mir auch in seinen Vorlesungen gefallen. Dadurch bin ich eigentlich nicht so sehr aus thematischen Gründen dorthin gegangen, sondern einfach weil ich das Gefühl hatte, dort wird vernünftige theoretische Physik gemacht. Ich war dann selbst ein bisschen erstaunt, dass es dort weniger um Metallphysik, sondern vielmehr um Flüssigkeiten ging. Das ist mit eines der schwierigsten Gebiete in der Physik. Über Festkörper weiß man viel, über Gase weiß man viel, über Flüssigkeiten nur ganz wenig. Ich habe aber nur meine Diplomarbeit auf diesem Gebiet gemacht, während dieser Zeit haben wir eigentlich schon zum Magnetismus gewechselt. Der selbe Professor, die selbe Arbeitsgruppe. Deswegen habe ich die ganzen Theorien der Flüssigkeiten beiseite geschoben und nochmal völlig gewechselt. Zum Magnetismus, etwas ganz Anderes. Drillingsraum: Wie sieht Ihr aktuelles Arbeitsgebiet aus, woran forschen Sie derzeit? Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Ich bin dem Magnetismus treu geblieben. Aktuell ist es jetzt, wenn man es mal mit einem Schlagwort belegen will, die Spintronik. Man sagt auch Spinelektronik oder Magnetoelektronik dazu. Das ist ein neuartiges Gebiet, auf dem der konventionelle Magnetismus mit der Halbleiterphysik in Verbindung gebracht wird. In der Informationsübertragung war es bisher immer so, dass man in normalen Halbleiterbauelementen lediglich die Ladung der Elektronen brauchte. In der Informationsspeicherung benötigt man magnetische Materialien, also den Spin des Elektrons. Was man jetzt versucht ist diese beiden Sachen zu kombinieren, sprich |
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sehr naheliegend, auch auf diese neuen sogenannten verdünnten magnetischen Halbleiter umzuschwenken. Im Prinzip sind es die selben, oder zumindest sehr ähnliche Theorien, verglichen mit denen, die ich während meiner Habilitationszeit bearbeitet habe. Diese ganze Sache machen wir hier mit ziemlichem Nachdruck, sehr intensiv, es ist ein äußerst spannendes Gebiet und auch sehr konkurrenzstark. Viele Arbeitsgruppen sind da dran, hier in Deutschland und weltweit. Man muss schon ein bisschen wach bleiben, um da mithalten zu können. Drillingsraum: Während all der Jahre als Physikprofessor sind Sie viel herum gekommen. Sie waren neben vielen anderen Stationen zum Beispiel an der Yarmouk-University in Jordanien und mehrmals Gastprofessor an der Kakatiya-University der indischen Stadt Warangal. Das sind ja erstmal weniger typische Länder für Auslandsaufenthalte, die meisten gehen eher in Richtung USA. Was hat Sie in diese Regionen gezogen? Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Es war so, dass wir damals in unserer Arbeitsgruppe indische Gäste hatten. Die haben einfach mal eine Gegeneinladung gestartet, wodurch ich dazu kam, in Indien Vorlesungen zu halten, was sehr viel Spaß gemacht hat. In Indien ist es so, dass die Zentren der Physik wie unsere Max-Planck-Institute ausgestattet sind. Die haben alles, es ist das höchste internationale Niveau. Es gibt aber auch unzählige kleinere Universitäten, die mit einem lächerlichen Betrag an Geld auskommen müssen und ganz große Schwierigkeiten haben, ein normales Lehrprogramm aufzuziehen. In Warangal habe ich damals die Quantenmechanik eingeführt, so wie wir sie hier machen, mit Übungen. Das hat ganz gut eingeschlagen. Die Quantenmechanik gab es natürlich vorher schon, aber das waren reine Vorlesungen ohne Übungsbetrieb. Bis dahin kannte das dort kein Student, dass er mal an die Tafel und was vorrechnen sollte. Ich glaube, ich bin inzwischen fünf, sechs, sieben Mal dort gewesen und habe immer so einen Monat Vorlesungen gehalten, ein Kompaktprogramm. In Jordanien war es ähnlich, viele jordanische Kollegen haben ihre Doktorarbeit in Deutschland gemacht, einige hier in Berlin. |
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ich ihm gleich einen ganzen Satz Bücher von anderen Bänden geschenkt und dann haben die in Jordanien ihr Lehrprogramm daran konstruiert. Zumindest ein bisschen, die haben ja auch ihre eigenen Vorstellungen. So kam es dann immer wieder zu neuen Einladungen, ich war gerade jetzt im Sommer wieder dort. Diese Besuche, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen diskriminierend, aber die waren schon so eine Art Entwicklungshilfe für diese kleinen Universitäten. Drillingsraum: Wie würden Sie die Unterschiede des dortigen universitären Alltags beschreiben, verglichen mit Europa? Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Der auffallendste und angenehmste ist die Höflichkeit der indischen Studenten. Zumindest vordergründig. Ich bekam dauernd irgendwelche Getränke serviert, im Wesentlichen war das natürlich Tee. Ein Student trug mir die Aktentasche zur Vorlesung, und als ich die Tafel wischen musste, war immer schnell einer da, der das für mich machte. Aber die sind bei Weitem nicht so diszipliniert wie unsere Studenten, obwohl wir da ja immer zu meckern haben. Beim indischen Studenten kann es vorkommen, auch beim jordanischen ein wenig, dass der einfach mal eine ganze Zeit lang von der Universität weg bleibt, wenn irgendwas bei ihm ansteht. In Indien sind es typischerweise die großen Hochzeitsfeste, die dann über Wochen gehen. Drillingsraum: Über Wochen? Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Ja, eine Woche mindestens. Drillingsraum: Waren Sie da mal dabei? Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Ja. Gut, natürlich nicht die ganze Woche. Ich war da mal eingeladen und habe mir das ein bisschen angeschaut. Ich kann nicht so wirklich nachempfinden, warum das ein so großes Ereignis sein soll, aber dort ist es nun mal so. Die Studenten sind dann für längere Zeit weg, aber das macht denen nicht so viel aus. Neu für die indischen Studenten war auch, dass ich morgens um Punkt 9 im Hörsaal war. Nicht nur die Studenten, auch die Professoren dort sind nicht allzu pünktlich. Da gab's mal folgende Geschichte: Ich kam |
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was sie in der Zeit machen könnten. Aber dort sind die dankbar für jede Abwechslung. Nicht in Bereichen wie Neu Delhi oder so, da ist das natürlich anders, aber in Warangal ist das die Situation. Intelligenz ist ortsunabhängig, da sind die mit uns gleichauf. Die wirklich guten Leute haben sich an diesen kleinen Universitäten aber nicht lange gehalten, ein guter Student hat da keine Zukunft. Die gehen dann in die großen Zentren in Indien. Drillingsraum: Letztendlich sind Sie aber an der HU hier in Berlin zu Hause. Was bedeutet für Sie Berlin in wissenschaftlicher Hinsicht, wie ist die HU als Wissenschaftsstandort einzuordnen? Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Ich war ja früher in Spanien. Jahrelang wartet man auf einen Ruf, und dann kommen plötzlich zwei. Neben der HU Berlin meldete sich auch Graz, und zwar wirklich zeitgleich. Graz ist eine wunderschöne Stadt. Als ich mich dort zu Verhandlungen eingefunden hatte schien die Sonne, man sah die Berge. Dazu kam die Freundlichkeit der Österreicher, natürlich erstmal vordergründig. Das sprach alles dafür. Nach einigen Verhandlungen am Telefon war das Angebot seitens der HU Berlin dann aber besser. Sie kommen ja aus München und werden das nicht so sehen, aber nach meiner Ansicht gibt es wissenschaftlich kaum eine Alternative. Wenn ich hier in Berlin ein wissenschaftliches Problem habe und nicht weiterkomme, habe ich mit Sicherheit jemanden in der Umgebung, der mir als Experte weiterhelfen kann. Man nutzt nicht immer alles aus und fährt dann auch wirklich hin, aber das wissenschaftliche Umfeld hier ist einfach einmalig. Da wird München auch noch dazuzählen, aber dann ist schon bald Schluss. Es war auch so, dass die Humboldt Universität selbst eine Herausforderung darstellte. Das war hier damals dieser Schnitt: Nach dem Fall der Mauer wurden die Professorenstellen neu ausgeschrieben und man konnte sich bewerben, auch als Alt-Humboldtianer. Viele haben es dann nicht geschafft, nur ein kleiner Prozentsatz wurde übernommen. Hier waren es, soweit ich weiß, vier Professoren, die anderen wurden durch West-Professoren ersetzt. Wie Sie sich vorstellen können hat das zu großen Spannungen geführt, insbesondere weil diejenigen, die nicht mehr im Amt waren, nur Zeitverträge bekommen haben, drei bis fünf Jahre. Zu der Zeit war ich Institutsdirektor, das ist das was man anderswo einen |
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Drillingsraum: Um es mal mit physikalischen Worten auszudrücken. Prof. Dr. Wolfgang Nolting: Ja genau. Das war sehr anstrengend, aber auch spannend. Die Humboldt-Universität hat einfach von der Geschichte her einen riesigen Namen. Der letzte Nobelpreisträger ist zeitlich zwar schon etwas weit weg, aber der Name spielt eine große Rolle. Die Konkurrenz hier zu hervorragenden Universitäten wie beispielsweise zur Freien Universität, wobei das ist ja noch nicht mal Konkurrenz, das ist vor allem eine Zusammenarbeit. Wir hatten mal einen Sonderforschungsbereich zusammen, das ist etwas, was man woanders natürlich nicht hat. Wo haben Sie drei Universitäten auf engstem Raum? Vier sogar, wenn man Potsdam mitrechnet. Ich sah damals also viele Gründe, mich für Berlin zu entscheiden. Das habe ich auch nie bereut. |
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